Newsletter: "Neue Praxis zur Haftung für die Verletzung von „Gegensanktionen"?"

Am 25. April 2024 hat das Arbitragegericht des Moskauer Gebiets (erste Instanz) einer Klage der Interregionalen Inspektion des Föderalen Steuerdienstes für die großen Steuerpflichtigen Nr. 1 (Steuerbehörde) gegen die OOO „TORG" (zuvor OOO „IKEA Torg“, gehört zum IKEA-Konzern) auf Einziehung von 12,9 Mrd. Rubel (ca. 135 Mio. Euro) ins Staatsvermögen in der Sache Nr. А41-6043/2024 stattgegeben (Tenor wurde am 15. Mai 2024 erstellt). Diese Steuerbehörde befasst sich mit Großunternehmen mit der ausländischen Beteiligung und ist ein Spitzenreiter und Vorbild für die weiteren russischen Steuerbehörden, was die Rechtsanwendungspraxis angeht. Das Gericht sah die nachstehend kurz skizzierte Transaktion als ungültig an und in ihr einen vorsätzlichen Verstoß gegen die Grundlagen der Rechtsordnung und Moral und konkret eine Verletzung der russischen „Gegensanktionen“.

 

Die OOO „TORG“ schuldete an die mit ihr verbundenen Fami Limited (Irland) insgesamt 9,6 Milliarden Rubel aus einem Darlehensvertrag, die Schuld wurde zum Teil in 2021 getilgt. Um die restliche Schuld zu begleichen, hatte die OOO „TORG“ ihre Schuldnerin, der OOO „Market.Trade“, angewiesen, Zahlungen für die seitens OOO „TORG“ gelieferten Waren an Fami Limited zu leisten. Die Gesamtsumme dieser Zahlungen betrug insgesamt 12,9 Milliarden Rubel.

 

Die Steuerbehörde hat auf der Grundlage von Artikel 169 des russischen Zivilgesetzbuches eine Klage wegen Ungültigkeit der Transaktion eingereicht, wonach in den gesetzlich festgelegten Fällen alles, was im Rahmen einer Transaktion erhalten wurde, die wissentlich gegen die Grundlagen von Rechtsordnung und Moral verstößt, für den Staat eingezogen werden kann.

 

Nach Auffassung der Steuerbehörde hat die OOO „TORG“ gegen russische Gegensanktionen verstoßen, nämlich gegen den Erlass des russischen Präsidenten Nr. 95 vom 5. März 2022, indem die Rückzahlung der Schulden aus dem Darlehensvertrag mit dem in einem „unfreundlichen“ Staat gegründeten Unternehmen Fami Limited ohne Genehmigung der Regierungskommission erfolgte, die hier durch einen Dritten, die OOO „Market.Trade“ durchgeführt wurde.

 

Das Gericht folgte der Stellungnahme der Steuerbehörde trotz der Argumente der Vertreter des Beklagten, dass Artikel 169 ZGB nur in einer engen, gesetzlich festgelegten Liste von Fällen angewendet werden kann, zu denen nicht die Verletzung der „Gegensanktionen“ gehöre.

 

Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Allerdings ist es u.E. sehr wahrscheinlich, dass die Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil nicht abändert. Solche Fälle sind in der Gerichtspraxis nicht neu, aber dieser Fall wird offensichtlich zu einem Präzedenzfall in der gegenwärtigen Lage, wenn es um die Folgen von Verstößen gegen Sanktionsmaßnahmen geht. Neben der möglichen Einbeziehung aller im Rahmen der Transaktion erhaltenen Beträge zugunsten des Staates besteht ein ebenso großes Risiko der strafrechtlichen Haftung des Managements für Verstöße gegen die Devisengesetzgebung (Artikel 193.1 des russischen Strafgesetzbuches). Im Gegensatz zur strafrechtlichen Haftung für Steuerverbrechen gibt es bei Devisenverstößen keine Befreiung von der Haftung.