Am 23. Oktober 2024 hatte das Staatliche Arbitragegericht für St. Petersburg und das Leningrader Gebiet (Az. Nr. A56-49800/2024) überraschend eine Entscheidung des Stuttgarter Landgerichts (Az. 31 O 10/20 KfH) anerkannt und für vollstreckbar erklärt (hierzu unser Newsletter vom 6. Dezember 2024).
Die Antragsgegnerin hatte dagegen am 4. Dezember 2024 Rechtsmittel beim Kassationsgericht des Nordwestlichen Bezirks eingelegt. Durch Beschluss des Kassationsgerichts vom 1. April 2025 wurde die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und zur Neuverhandlung ans Staatliche Arbitragegericht für St. Petersburg und das Leningrader mit neuer Gerichtsbesetzung zurückverwiesen.
Mit Entscheidung des Gerichts vom 7. Juli 2025 wurde die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils des Stuttgarter Landgerichts jetzt abgelehnt. Am 20. Juli 2025 wurden die Entscheidungsgründe veröffentlicht. Gegen die Entscheidung kann der Antragsteller wiederum innerhalb eines Monats Beschwerde beim Arbitragegericht des Norwestlichen Bezirks einreichen. Die Entscheidung ist also noch nicht rechtskräftig.
Das Gericht führt in seiner Begründung aus, dass das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche auf dem Gebiet der Russischen Föderation durch das Arbitrageprozessgesetz („ArbitGB“) (Kapitel 31) sowie internationale Verträge geregelt sei, denen die Russische Föderation beigetreten ist (Artikel 16 ArbitGB). Das Gericht müsse außerdem gemäß den Bestimmungen von Artikel 244 der russischen Zivilprozessordnung („ZPO“) feststellen, ob Gründe für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung eines ausländischen Gerichts vorliegen oder nicht.
Dabei müsse ein Arbitragegericht gemäß Artikel 244 ZPO die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung ganz oder teilweise ablehnen, wenn: die Entscheidung nach dem Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen ist, nicht rechtskräftig geworden ist; die Partei, gegen die die Entscheidung ergangen ist, nicht rechtzeitig und ordnungsgemäß über den Zeitpunkt und den Ort der Verhandlung unterrichtet wurde oder aus anderen Gründen ihre Erklärungen vor Gericht nicht vorbringen konnte; die Verhandlung der Sache gemäß einem internationalen Vertrag der Russischen Föderation oder einem Bundesgesetz in die ausschließliche Zuständigkeit eines russischen Gerichts fällt oder die Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts der öffentlichen Ordnung der Russischen Föderation widersprechen würde.
Gemäß Artikel 15 Teil 4 der russischen Verfassung seien die allgemein anerkannten Grundsätze und Normen des Völkerrechts Bestandteil des Rechtssystems der Russischen Föderation.
Gemäß Artikel 6 Teil 3 des Föderalen Verfassungsgesetzes vom 31. Dezember 1996 Nr. 1-FKZ „Über die Gerichtsbarkeit der Russischen Föderation” wird die Verbindlichkeit von Entscheidungen ausländischer Gerichte, internationaler Gerichte und Schiedsgerichte auf dem Gebiet der Russischen Föderation durch internationale Verträge der Russischen Föderation bestimmt.
Wie aus den Unterlagen des Falles hervorgehe, bestehe zwischen Deutschland und der Russischen Föderation kein internationales Abkommen, das ein Anerkennungsverfahren einer gerichtlichen Entscheidung zum Zwecke ihrer Vollstreckung im Hoheitsgebiet eines anderen Staates vorsieht.
Dennoch könne einem Antrag auf der Grundlage allgemein anerkannter Grundsätze des Völkerrechts, zu denen die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der internationalen Höflichkeit gehören, stattgegeben werden.
Der Grundsatz der internationalen Höflichkeit verpflichte die Staaten, sich gegenüber der Rechtsordnung eines anderen Staates höflich und zuvorkommend zu verhalten, während der Grundsatz der Gegenseitigkeit die gegenseitige Achtung der Ergebnisse der Tätigkeit der Gerichte verschiedener Staaten voneinander voraussetze.
Darüber hinaus sei bei der Prüfung des vorliegenden Falles zu berücksichtigen, dass mit dem Erlass der Regierung der Russischen Föderation vom 5. März 2022 Nr. 430-r eine Liste ausländischer Staaten, die unfreundliche Handlungen gegenüber der Russischen Föderation, russischen juristischen und natürlichen Personen begehen, verabschiedet wurde, in die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter auch Deutschland, aufgenommen wurden. Die genannte Verordnung wurde im Rahmen des Dekrets des Präsidenten der Russischen Föderation Nr. 95 vom 5. März 2022 „Über die vorübergehende Regelung der Erfüllung von Verpflichtungen gegenüber bestimmten ausländischen Gläubigern” erlassen, die im Dekret des Präsidenten der Russischen Föderation Nr. 79 vom 28. Februar 2022 vorgesehen sind.
Unter diesen Umständen habe der Antragsteller dem Gericht Beweise dafür vorlegen müssen, dass in Deutschland in Ermangelung eines internationalen Vertrags ausschließlich auf der Grundlage der Grundsätze der internationalen Höflichkeit und Gegenseitigkeit Entscheidungen russischer Gerichte in ähnlichen Rechtssachen aus den letzten drei Jahren vollstreckt werden. Der Antragsteller habe dem Gericht jedoch keine solchen Informationen vorgelegt.
In Anbetracht dessen kommt das Arbitragegericht zum Schluss, dass die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 27. Mai 2021 in der Rechtssache Nr. 31 O 10/20 KfH in der Russischen Föderation nicht anerkannt und vollstreckt werden kann und der Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts daher abgelehnt wird.