Das Staatliche Arbitragegericht für St. Petersburg und das Leningrader Gebiet hat am 23. Oktober in der Sache Nr. A56-49800/2024 überraschend die Entscheidung des Stuttgarter Landgerichts mit dem Aktenzeichen 31 O 10/20 KfH vom 27. Mai 2021 anerkannt und für vollstreckbar erklärt (in Höhe von ca. EUR 150.000).
Allerdings hat die Antragsgegnerin am 4. Dezember 2024 Rechtsmittel gegen diese Entscheidung beim Kassationsgericht des Nordwestlichen Bezirks eingelegt. Das Kassationsgericht hat die Annahme der Beschwerde jedoch ebenfalls am 4. Dezember aus formellen Gründen abgelehnt und die Sache bis zum 20. Januar 2025 ruhend gestellt. Die Antragsgegnerin hat nunmehr bis zum 20. Januar Zeit, einen formell korrekten Antrag einzureichen. Wir werden über den Fortgang dieses spannenden Verfahrens berichten.
In Russland werden jedes Jahr ca. 150 Anträge zur Anerkennung ausländischer Urteile verhandelt. Mehr als der Hälfte der Anträge wird stattgegeben. Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urteils ist in der Regel ein entsprechendes internationals Abkommen zwischen Russland und dem jeweiligen ausländischen Staat.
Mit Russland bestehen derzeit ca. 35 Rechtshilfeabkommen (z.B. mit Italien, Spanien, Griechenland, China, Indien, Argentinien etc.). Zwischen Deutschland und Russland besteht indes kein Abkommen über die Anerkennung zivilrechtlicher Urteile. Russland ist ebenfalls nicht am Luganer „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen” von 1988 beteiligt. Entscheidungen deutscher Gerichte sind daher in Russland nicht unmittelbar vollstreckbar.
In der russischen Gerichtspraxis gibt es jedoch immer häufiger Fälle, in denen russische Gerichte trotz fehlendem internationalen Abkommen auf Grundlage des im internationalen Recht anerkannten Prinzips der „ internationalen Höflichkeit” ausländische Urteile anerkennen – genau hierauf bezieht sich das St. Petersburger Gericht. Daneben lässt z.B. das russische Insolvenzgesetz die Anerkennung ausländischer Insolvenzurteile aufgrund der Gegenseitigkeit grundsätzlich zu.
Allerdings besteht absolut keine einheitliche Gerichtspraxis und es ist auch unklar, ob sich diese klar in Richtung allgemeiner Anerkennung entwickelt. Die Ratifizierung des Haager „Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Zivil- und Handelssachen” vom 2. Juli 2019 durch die EU-Staaten, Russland und andere Länder wäre insoweit ein großer Fortschritt. Für die EU ist das Abkommen seit September 2023 verbindlich und gilt inwischen für insgesamt 30 Staaten. Zwar hatte der russische Justizminister das Haager Übereinkommen am 17. November 2021 unterzeichnet. Eine Ratifizierung ist aber bis heute durch Russland nicht erfolgt und es ist fraglich, ob dafür derzeit der politische Wille besteht.
Umso überraschender ist die St. Petersburger Entscheidung, dessen Entscheidungsgründe nachstehend in Auszügen übersetzt sind:
„Der Zweck der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Akte sollte, wie jede andere Tätigkeit staatlicher Organe, der Schutz und die Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte und -freiheiten sein. Einer der allgemein anerkannten Grundsätze des Internationalen Rechts ist der Grundsatz der internationalen Höflichkeit, der von den Staaten verlangt, ausländische Rechtsordnungen mit Höflichkeit und Freundlichkeit zu behandeln. Zu den allgemein anerkannten Grundsätzen des Internationalen Rechts gehört auch der Grundsatz der Gegenseitigkeit, der sich aus dem Grundsatz der internationalen Höflichkeit ableitet. In einem materiell-rechtlichen Kontext sollte der Grundsatz der Gegenseitigkeit als die Regel verstanden werden, dass ausländisches Recht der gegenseitigen Anwendung unterliegt, um die Zusammenarbeit zwischen Staaten zu fördern.
Gemäß Art. 241 Abs. 1 Arbitrageprozessordnung werden in der Russischen Föderation Entscheidungen von Gerichten ausländischer Staaten in Streitigkeiten und anderen Fällen, die sich aus unternehmerischer und sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit ergeben (ausländische Gerichte), sowie Entscheidungen von Schiedsgerichten und internationalen Handelsschiedsgerichten, die von diesen auf dem Gebiet ausländischer Staaten in Streitigkeiten und anderen Fällen, die sich aus unternehmerischer und sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit ergeben (ausländische Schiedssprüche), getroffen wurden, von den Arbitragegerichten der Russischen Föderation anerkannt und zur Vollstreckung zugelassen, wenn eine derartige Anerkennung und Zulassung zur Vollstreckung in internationalen Verträge der Russischen Föderation und Föderalgesetze vorgesehen ist.
Gemäß Art. 15 Abs. 4 der Verfassung der Russischen Föderation sind die allgemein anerkannten Grundsätze und Normen des Völkerrechts und völkerrechtliche Verträge der Russischen Föderation Teil ihrer Rechtsordnung. Wenn ein völkerrechtlicher Vertrag der Russischen Föderation andere als die gesetzlich vorgesehenen Regeln festlegt, gelten die Regeln des völkerrechtlichen Vertrags.
Die Beklagte hat sich gegen die Befriedigung des Antrags gewandt und darauf verwiesen, dass sie nicht rechtzeitig von der Prüfung des Rechtsstreits in Kenntnis gesetzt worden sei; sie hat ferner darauf verwiesen, dass ausländische Staaten (darunter die Bundesrepublik Deutschland) aus politischen Gründen restriktive Maßnahmen gegen die Russische Föderation ergriffen hätten. Sie ist der Ansicht, dass die Entscheidung gegen die öffentliche Ordnung verstößt.
Das Gericht wies das Vorbringen der Beklagten als unbegründet zurück. Beweise für die rechtzeitige Benachrichtigung der Beklagten über die Verhandlung der Streitigkeit sind in der Akte vorhanden. Das Gericht hält die Argumente über die Verletzung der öffentlichen Ordnung der Russischen Föderation für unbegründet; in diesem Fall wird nach Ansicht des Gerichts die öffentliche Ordnung nicht verletzt. Die Argumente der Beklagten sind unsubstantiiert und werden nicht durch Beweise gestützt. Unter diesen Umständen ist dem Antrag auf Vollstreckung des Urteils stattzugeben.“